Das Mikrofon hatte ich mit viel Klebeband an das abgeschraubte Bein eines Hockers geklebt, welches ich wiederum an einem alten Notenständer befestigt hatte. 19jährig, mit erstem Flaum um Wangen und Kinn, sang ich in dieses geborgte Mikro ohne mir viele Gedanken zu machen. Etwas war in mir drin, was raus wollte. Etwas, was nur ich fühlte. Auch wenn ich es damals noch nicht wusste… eine besondere Beziehung mit mir selbst begann, in der ich immer wieder von dieser Art Fieber befallen wurde und dann ein Stück Papier, einen Stift und einen Aufnahmeknopf brauchte, um das Fieber wieder loszuwerden. Nichts konnte mich heilen, es sei denn, ich fand Gelegenheit und Muße, die Melodien und Worte in meinem Inneren als Songs zu vertonen…
“when I’m tired” sang ich damals 19-jährig in meinem Zimmer in ein geborgtes Mikro und nahm auf einem Tascam 4-Spur-Gerät auf Kassette auf
Meine Mutter war Anwältin. Das wollte ich auch werden, da ich als kleiner Junge ihre fast superheldenhaften Geschichten liebte, in denen sie durch kluge und kreative Einfälle ihre Mandanten und Mandantinnen vor der Ungerechtigkeit der Gesetzesgewalt bewahrte. Ich vergötterte sie. Als Scheidungskind war sie Bezugspunkt und Nabel meines kleinen Universums. Viel später erst sollte ich mein eigenes Universum entdecken. Das Arbeiten als Anwalt kam darin jedoch nicht im mindesten vor.
Aufgewachsen in Berlin-Köpenick war ich zwar Teil einer Großstadt, lebte aber in überschaubaren Kleinstadtverhältnissen mit Nähe zu Natur und Wasser. Damals gab es viele Jugendclubs mit Proberäumen und Auftrittsmöglichkeiten. Fast alle meine Kumpels und Freunde waren in Bands. Allerdings fühlte ich mich mit meiner Vorliebe für Cat Stevens und Simon & Garfunkel immer fehl am Platz und unterlegen gegenüber meinen Slipknot und Metallica hörenden Mitstreitern. Meine daraus erwachsenen Unsicherheiten glich ich durch meine Sportlichkeit, witzig-schnippische Antworten und die Fähigkeit aus, Situationen und Menschen schnell einschätzen und mich anpassen zu können.
Mit 17 bekam ich die Chance, ein Austauschjahr in Kanada zu machen. Ich spürte, wie sich meine Flügel ausbreiten wollten zum Fliegen. Eine Familie mit viel Herz in einem Ort mit wenig Einwohnern ließ mich ein Jahr spüren, wie leicht und unbeschwert Leben abseits von deutscher Kriegsverbrecher-Geschichte und ostdeutschem Nachwendeverlierertum sein kann. Die Welt schien heller, als ich wieder kam.
Einen Monat nach meiner Rückkehr lernte ich ein Mädchen kennen, welches mich bis heute eng begleitet. Sie ist ein Mensch, der es schafft, meine Seele unaufgeregt und tief zu erfreuen und zu berühren. Ein Mensch, bei dem sich mein inneres Kind akzeptiert und zu Hause fühlt. Mittlerweile haben wir 4 Kinder und leben zusammen in einem alten Holzhaus mitten im Wald in Schweden.
Meine damals daheim mit festgeklebtem Mikrofon aufgenommenen Lieder verteilte ich schüchtern erwartungsvoll an Freunde und Familie. Die Reaktionen waren erstaunt positiv. In mir und wohl auch meiner Mutter reifte mit jeder neu daheim eingespielten Komposition die Gewissheit, dass sich wohl ein Künstlerwesen in der Familie befand. Aber wie nun damit umgehen? Blaupausen für diese Situation gab es in unserer Ahnenreihe nicht wirklich.
Ich erhielt Unterstützung aus vollem Mutter- und Juristinen-Herzen: die Anhäufung von Musikinstrumenten und Aufnahmetechnik wurde in Kauf genommen und bei einem Umzug für mich sogar ein eigener, kleiner Aufnahmeraum berücksichtigt. Meine Mutter unterstützte mich mit Geld für Aus- und Weiterbildungen und versuchte, meiner Künstlernatur beizubringen, dass ich nicht allein alle Spielkarten auf die Musik setzen sollte. Sie gründete mit mir ein eigenes Label, welches in GmbH-Form meine Rechte und Kompositionen schützen sollte und schlug meine Bandformationen in den rechtssicheren Umschlag einer GbR ein. Sie sicherte mich ab und wollte mir den Weg ebenen, meine Musik einmal in strukturierter und kaufmännisch sortierter Form zu vermarkten.
Leider war unsere Zusammenarbeit zum Scheitern verurteilt, denn noch lange nicht hatte ich mich selbst gefunden. Ich war kein angehender Kaufmann, sondern ein Künstler und Mensch auf der Suche. Und so geradlinig, fleißig und kreativ ich auch war, zu Hause forderte mich die wachsende Familie immer mehr. Und so zog ich dann auch 2015 mit Ankunft von Kind Nr. 4 die Reißleine, beendete meine aktive Zeit als auftretender Künstler und bat meine Mutter um die Auflösung des Labels. Stattdessen wollte ich mich nur noch um meine Tätigkeit als Sprecher kümmern, welche ich mir in den vorangegangenen Jahren parallel zur Musik aufgebaut hatte. Geld verdienen und für die Familie da sein lautete der Plan. Musik wollte ich nur noch als Hobby betreiben.
In den darauf folgenden Jahren begann ich mehr und mehr zu verstehen, dass ich irgendwie anders war, als die meisten meiner Mitmenschen. Einmal saß ich morgens in Berlin in der Straßenbahn auf dem Weg zum wöchentlichen Yoga. Plötzlich und ohne Vorwarnung spürte ich eine enorme Liebe. Ich fühlte mich so unglaublich stark von etwas Höherem, Göttlichem geliebt, dass ich nur weinen konnte. Mitten unter all den Menschen in der vollen Bahn rannen mir die Tränen über’s Gesicht, weil diese Liebe kaum auszuhalten war. In diesem Moment fühlte ich, dass hinter unserer Welt, wie wir sie sehen, noch eine andere Welt liegt, in der Zeit und Raum keine Rolle spielen und in der ein höheres Bewusstsein herrscht.
Diese andere Welt begann mehr und mehr mit mir zu kommunizieren, mir Zeichen zu senden für Wege, die ich gehen sollte. Eingebungen und Inspirationen kamen mir. Ich realisierte eines Tages, dass ich sehr krank war, krumm und schief. Ich hatte mein Leben als vorwiegend Rechtshänder gelebt und verstand mit einem Mal, dass ich eigentlich Linkshänder war. Sofort stellte ich mich um und begann einen mühsamen Weg der Rückschulung. Wirbelsäule, Rippenbogen, Schulterblatt, Kiefer, Hüfte, Knie, Hände und Füße waren von der jahrzehntelangen Fehlbelastung und falscher Haltung verschoben. Mit täglichen Bewusstseins- und speziellen Körperübungen löste ich langsam diese Blockierungen und führte mich nach und nach zurück in einen heilen Zustand.
Der Umzug nach Schweden 2018 beschleunigte diesen Prozess. Allein im Wald, abgeschieden von den sonst so zahlreichen Energien einer Großstadt fand ich zu mir, entdeckte meine innere Kraft und das Portal zur geistigen, anderen Welt öffnete sich mehr und mehr. Mein Körper und meine Stimme veränderten sich während dieses Heilungsprozesses. Ich entdeckte meine Bassstimme, von der ich vorher nie wusste. Je mehr ich in mir ruhte, je mehr Kraft und Liebe aus mir selbst kam, desto wärmer und wohliger schwang sie. Die Natur um mich herum erdete mich.
Der Prozess der Heilung erforderte viel Geduld, viel Training und viel Bewusstseinsarbeit. Ich erlebte Phasen, in denen alles viel schlimmer zu werden schien, Schmerzen im Körper, Tage voll Müdigkeit und Abgeschlagenheit und über ein Jahr voller Angstzustände und teilweise Panikattacken. Doch da war immer eine wohlwollende Stimme in meinem Inneren, die mir sagte: “Halte durch! Was verbogen wurde, muss wieder gerade gebogen werden. Doch es wird besser werden. Halte durch!” Also hielt ich durch. Und die Stimme hatte recht.
Was ich nun fühle, ist ein Zustand, in dem ich sehr zufrieden mit mir und meinem Leben bin. Ich spüre viel Liebe und Dankbarkeit für kleine Details und Momente. Bienen auf Blüten zu beobachten erfreut mich. Wolken am Himmel erfreuen mich. Sich wiegende Gräser im Wind erfreuen mich. Ein kindlicher Spieltrieb und eine unvoreingenommene Lust am kreativen Experimentieren sind zurück gekehrt und wieder fester Bestandteil meines Lebens. Ein Urvertrauen in mir gibt mir Ruhe und Kraft. Alles wird gut.
Ich schreibe Texte und Lieder und weiß, dass ich dabei immer Hilfe habe. Ich sehe mich mehr als Kanal für etwas Größeres, was zu uns sprechen möchte. Ich versuche, so offen wie möglich zu sein für diese Botschaften und mein Ego weitestgehend bei diesen kreativen Prozessen außen vor zu lassen. Denn die Natur und das Universum sind die wahren Künstler. In meinen Augen können wir nur Übermittler sein. Botschafter für die schönste aller Botschaften: Liebe!