Es war ein lauer Sommerabend in einem Neuköllner Café in Berlin. Hier war ich die letzten Monate regelmäßig an einem festen Abend aufgetreten. Nach jedem Auftritt analysierte ich, was gut funktioniert hatte und was nicht. Und dann optimierte ich mein Programm. Stunden- und tagelang stand ich im Proberaum und schrieb, komponierte und arrangierte. Es hatte sich ein wenig rumgesprochen, was ich tat und an diesem Abend waren ungewöhnlich viele Menschen da. Die Stimmung war magisch und 2 humorvolle Nummern, in denen ich in verschiedene Rollen schlüpfte, zogen besonders gut. Vor allem Julio, eine Mischung aus spanischem Gitarrero und Mister Bean begeisterte die Leute. Am Ende ging ich von der Bühne durch den tosenden Applaus und bekam anerkennende und bewundernde Blicke. Das war es also! Das war Erfolg! So fühlte es sich an, wenn man die Formel geknackt und herausgefunden hatte, was die Leute hören und sehen wollten. Doch wieso freute ich mich dann nicht? Wieso taumelte ich halb benommen an den Leuten vorbei auf den Backstage-Raum zu und lächelte beklommen. Warum hatte ich nur diese Leere in meinem Bauch und fühlte mich vollkommen fehl am Platz?
“Julio” im Café Provinz in Berlin im Juli 2014
In meinem Leben gab es immer mal wieder Schlüsselmomente, in denen mein bisheriges Dasein tief aufgerüttelt wurde. Deutliche Mitteilungen meiner Seele, die mir zu verstehen geben wollte: “Ok Robert, der Weg bis hierhin war gut, aber jetzt müssen wir beide leider einen ganz anderen Weg einschlagen.”
Der besagte Abend in Neukölln vor gut 10 Jahren gehörte eindeutig zu dieser Art von Mitteilungen. Heute erst verstehe ich, was damals passiert war. Aber dazu später mehr.
Aufgewachsen bin ich ganz am Rand von Berlin, in Köpenick. Da gab es viel Wasser und Grün. Man konnte mit dem Fahrrad überall hin und sich mit seinen Freunden treffen. Es gab viel Musik und Konzerte und Jugendclubs. In einem der Clubs, dem „All“, machte Jimmy seinen Zivildienst. Er hatte lange Rastazöpfe und spielte E-Gitarre in einer Funkband. Er bot kostenlosen Gitarrenunterricht an. Deshalb erklangen aus der alten Nylon-Klampfe meiner Mutter nach vielen Jahren auch plötzlich Blues-Skalen und Funk-Riffs. Da war ich ungefähr 14. Später hatte ich dann Unterricht bei Timothy, einem Flamenco- und Klassikgitarristen. Bei ihm im nach Räucherstäbchen duftenden Musikzimmer in Berlin Prenzelberg nahm ich etwas später auch schüchtern meine ersten erlernten und selbst geschriebenen Stücke auf und versammelte sie auf einer kleinen, eigenen CD namens “ananda”, die ich an Freunde und Familie verteilte.
“ananda”, das Titelstück meiner ersten CD, welche ich selbstgebrannt an Freunde und Familie verteilte
Die Erfahrung des Musikaufnehmens bei Timothy war wundervoll gewesen und nachdem ich von einem Schüleraustauschjahr in Kanada zurück gekehrt war, kaufte ich ihm sein altes Tascam Aufnahmegerät für 50 € ab. Man steckte eine normale Kassette hinein und hatte dann vier Spuren zum Aufnehmen. Ein geliehenes Mikro klebte ich mit viel Tape umwickelt an ein Hockerbein, welches ich wiederum an einen alten Notenständer tapte. So ausgestattet setzte ich mich mit Gitarre in mein Zimmer, drückte den Aufnahmeknopf und sang los. Es entstand die CD “when I’m tired” mit 11 Songs, die ich wiederum selbstgebrannt im Familien-, Bekannten- und Freundeskreis verteilte.
“when I’m tired”, das Titelstück meiner 2004 daheim aufgenommenen CD mit 11 englischen, deutschen und instrumentalen Eigenkompositionen.
Es war wundervoll, von keiner Musiktheorie, Standardfolgen, Noten oder irgendetwas eine Ahnung zu haben und einfach nur meiner Intuition zu folgen, meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen und rumzuexperimentieren. Und ich war überrascht, was für positive Reaktionen ich in meinem näheren Umfeld auf meine Musik bekam.
20 Jahre später wohne ich in einem alten Holzhaus mitten im schwedischen Wald mit meiner wundervollen Frau, unseren 4 Kindern, unseren Hühnern, unserem Kater Alfons und ich lächele, wenn ich die alten Bilder sehe und die alten Aufnahmen höre. Ich habe das Gefühl, nach langer langer Zeit und Suche, wieder bei diesem jungen Burschen, der von nichts eine Ahnung hat und nur seiner Intuition folgt, angekommen zu sein. Denn zunächst bildete ich mich weiter, lernte Musiktheorie, schrieb komplexe Texte und wollte sogar mal auf eine Pophochschule in Amsterdam gehen, wo ich nach Büffeln für eine Aufnahmeprüfung auch beinahe angenommen wurde. Doch das Leben wollte es anders…
“Das Leben” stammt vom Doppelalbum “Erwartungen”, welches ich 2011 nach den Erfahrungen mit professionellen Band- und Studioaufnahmen wieder ganz für mich allein über mehrere Wochen zurückgezogen in einem Bungalow am Rand von Berlin einspielte.
Soviel hat sich verändert in den letzten Jahren, soviel habe ich über mich gelernt, soviel verstanden, soviel aufgearbeitet und soviel geheilt.
Wäre es nicht toll, wenn wir alle mit einer Gebrauchsanweisung zur Welt kämen? Für uns selbst und auch alle anderen. Für Familie, Freunde, Lehrer, Arbeitskollegen und überhaupt vielleicht mit kleinen Auszügen daraus auf’s T-Shirt gedruckt für Busfahrerinnen, Kassierer oder einfach Menschen auf der Straße.
Aber nein! Stattdessen muss man selbst suchen und sein Leben irgendwann als etwas begreifen, was nicht einfach nur passiert, sondern in dem wir selbst als Kapitäne und Kapitäninnen am Steuer des Schiffs stehen und durch’s Lebensmeer schippern. Und irgendwann fallen einem bei genauerem Hinsehen vielleicht Dinge am eigenen Schiff und am Fahrstil auf und man fragt sich: “Warum fahr ich eigentlich immer nur im Kreis? Warum habe ich eigentlich das Gefühl, dass alle anderen Schiffe größer und schöner sind? Und warum tut mir eigentlich beim Steuern die rechte Seite so weh…?”
Bis zu meinem 32. Lebensjahr dachte ich, ich wäre ein Rechtshänder. Schreiben, Essen, Zähne putzen, Werfen, Gitarre spielen… alles machte ich mit rechts. Allerdings schoss ich Bälle immer schon mit dem linken Fuß und Geld zählen, Blumen pflücken, Karten austeilen und Kabel aufrollen, machte ich mit links, fiel mir irgendwann auf.
Es ist schon erstaunlich, wie wenig Beachtung man solchen Dingen schenken kann, wenn der Blick nach Außen gerichtet ist. Aber eines schönen Tages im November 2017 sagte mir plötzlich mein Körper ganz deutlich, dass ich Linkshänder bin. Es war diese Art der Kommunikation, wie wenn man einen Raum betritt und auf Anhieb spürt, wen man sympathisch findet und wen nicht.
Nun bin ich ein Mensch, der schlecht Kompromisse machen kann, wenn sich etwas nicht mehr gut oder richtig anfühlt. Ganz oder gar nicht ist sehr häufig die Taktik bei meinen persönlichen Entscheidungen. Und so stellte ich mein gesamtes Leben auf links um: Schreiben, Essen, Zähne putzen… alles erlernte ich noch einmal von Grund auf neu. Und nach 18 Jahren… auch das Gitarre spielen.
“Nach Haus”, das Titelstück meiner im Herbst 2021 erschienenen LP. Ein Lied über das Hören auf die innere Stimme und das Zurückfinden zu sich selbst.
Schon seltsam, wie mühselig wir uns als Kinder Dinge beigebracht haben. Wir können uns nicht mehr daran erinnern. Aber nun durfte ich als über 30jähriger noch einmal erleben, dass dieses komische Besteck völlig unpraktisch in der Hand liegt, dass man mit einem Stift erstmal “krakelt”, bevor es Schrift oder Bilder werden und dass man sich selbst mit der Zahnbürste erstmal oft ans eigene Zahnfleisch haut, bevor man lernt, sie zu kontrollieren.
Manchmal war alles sehr frustrierend! Besonders der Umstand, dass ich die vielen, musikalischen Ideen in meinem Kopf plötzlich nicht mehr umsetzen konnte, erfüllte mich manchmal mit Traurigkeit. Auf der anderen Seite entdeckte ich mich selbst nach und nach auf eine Art, wie ich sie vorher nicht kannte: freier, kindlicher, unbeschwerter.
Als wir im Sommer 2018 nach Schweden zogen war ich vollgesogen wie ein Schwamm. Ich hatte gelernt, mich anzupassen und meine Einzigartigkeit zu verstecken. Ich war an einem Ort aufgewachsen, an dem die Menschen, die für mich verantwortlich waren, viel mit eigenen Schmerzen, Verwundungen und Ängsten aus der Vergangenheit haderten.
“Alles” von meiner LP “Nach Haus”. Ein Lied über die ewigen Widersacher Liebe und Angst und den Weg des Lernens und der Heilung
Das Leben im Wald erdete mich zunehmend. Die Ruhe, die Kreisläufe der Natur, das Zusammensein mit Tieren auf unserem Hof… all das brachte mich immer mehr zu mir selbst zurück. Ich machte Yoga und arbeitete an meinem Körper und meiner Stimme. Ich spürte immer mehr, wie verkrampft, zusammengezogen und schief ich eigentlich war. Ich hatte den Wunsch, mich nun zu entfalten, mich wieder gerade zu biegen, mich zu heilen.
Je mehr ich mich entspannte und heilte, desto tiefer wurde auch meine Stimme. Ich schwang plötzlich anders. Ich hörte immer mehr auf meinen Körper und meine Intuition. Ich lernte, mich zu lieben, wie ich bin und die Wärme, die dadurch in mein Leben trat, schien sich irgendwie auch in meiner Stimme widerzuspiegeln.
Heute weiß ich, dass ich damals vor 10 Jahren in Neukölln von der Bühne ging und Jubel für etwas bekam, das ich hauptsächlich für’s Publikum getan hatte. Ich hatte clever, gewitzt und schlau geschrieben. Ich hatte filigran, virtuos und komplex gespielt. Ich hatte eben jene Formel entwickelt, die anderen gefiel und sie unterhielt. Aber ich hatte nicht voll und ganz aus meinem eigenen Herzen heraus gesungen und gespielt. Und darüber war mein Herz sehr traurig. Ich erfuhr damals, dass mir Erfolg allein keine Freude schenkt. Dass ich ein feinfühliger Mensch bin, der das dringende Bedürfnis hat, seine eigene Wahrheit und seine wahren Gefühle in die Welt zu tragen.
“Jeden Fehler” von meiner LP “Nach Haus”. Geschrieben aus der eigenen Erfahrung des Loslassens, des Ablegens von Perfektionismus, des sich Vergebens und des Sich-Selbst-Liebens
Wenn ich jetzt Songs schreibe, ist es mir nicht wichtig, ob andere sie mögen. Ich selbst muss sie mögen. Und oft habe ich Songs vor der Veröffentlichung schon hundert Mal daheim gehört und mitgesungen. Das mache ich zur Zeit auch gerade. Ab Herbst 2024 dürft ihr dann auch wieder hören. Denn dann kommt mein Album “rot und blau” mit 11 tiefen Songs heraus. Vorfreu!!! :)))