15. Oktober 2021

Radikal vs. Vollkommen

Neulich begegnete mir das Wort „radikal“ in einem seltsamen Kontext. Es wurde „radikale“ Selbstliebe gefordert…
Radikal klingt für mich nach „wildem Entschluss“, nach „heftiger Umsetzung“ und nach „wehe, einer hält mich jetzt noch davon ab“.

Es klingt nach „lieber schnell und mit Wucht, als mit Ruhe und Kraft“. Wie jemand, der eine Tür lieber einrennen möchte, anstatt sich Zeit zu nehmen, den Schlüssel zu suchen. Mit dem Ruf „Platz da, jetzt komm ich!“ wird sich auf die lang ersehnte Selbstliebe gestürzt. Zu lange schon musste man warten! Nun wird Anlauf genommen und diejenigen, die sonst immer zwischen einem und der Selbstliebe standen, werden nun kurzerhand zur Seite geschubst.

Ich liebe mich selbst! Nicht radikal, aber aufrichtig, bedingungslos und vollkommen. Und beim immer tiefer Eintauchen in mich selbst, beim immer mehr Akzeptieren, Zulassen, Loslassen und Lieben geschah etwas Sonderbares: Plötzlich stieg ein Verständnis, ein Mitgefühl, ja eine Art Liebe auch für alle anderen Menschen in mir auf. Und ich fühlte, dass ich mich nie vollkommen selbst lieben kann, wenn diese Liebe nicht auch auf meine Umwelt strahlt und sie mit einbezieht. Ich erkannte mit einem Mal, dass all jene, die mir vorher harsch, egoistisch, unsensibel oder gar verletzend begegnet waren, nicht mich damit meinten, sondern sich. Dass ich nur der Spiegel für ihre fehlende Selbstliebe war. Dass mir niemand im Weg stand auf dem Weg zu meiner eigenen Selbstliebe, sondern dass ich in einem Feld von grauen und müden Gestalten einfach nur die Augen schließen und das Leuchten in mir drinnen suchen musste. Dass ich, um mein Licht wieder zu finden, nicht mit Wucht irgendwo hin, sondern mit Überzeugung stehen bleiben musste.

Ich würde das Wort „radikal“ gern durch das Wort „vollkommen“ ersetzen. „Radikale“ Liebe ist Kampf. „Vollkommene“ Liebe ist Ruhe und Klarheit, in mir selbst und aus mir heraus für andere. Und wenn ich hell genug leuchte, fest genug stehe und stark genug liebe, werde ich die anderen nicht mehr spiegeln, sondern nur noch ich sein. Wie ich bin. Geliebt. Von mir. Vollkommen.

8. Oktober 2021

Warum

Wir saßen am Küchentisch und schwiegen uns an. Es war herrlich! Je länger die Stille dauerte, desto glücklicher wurde ich. Die Frage des „Warum?“ stand im Raum und ich ignorierte sie einfach fortwährend und kicherte dabei innerlich in mich hinein.

Wir fragen uns oft in unserem Leben, warum dieses oder jenes geschieht oder warum dieser oder jener etwas tut. Und jedes Mal ist es ein Anecken an unsere innere Grenze von dem, was wir erwartet haben.

Kinder beginnen mit etwa 5 Jahren, die Welt für sich zu entdecken und zu vergrößern. Jede Antwort auf eine ihrer endlosen Warum-Fragen erleuchtet ihnen einen weiteren Teil dieser riesigen, noch unbekannten Welt, in die sie da hinein geboren wurden. Je älter wir werden, desto mehr tendieren wir allerdings dazu, Warum-Fragen zu stellen, um unsere Welt wieder zu verkleinern. Um sie zu begrenzen und unter Kontrolle zu halten.

Und auch ich verstand an diesem Abend mit meinem Sohn am heimischen Küchentisch nicht, warum er nach dem letzten Fussballtraining wütend geworden war. Warum er im Nachhinein bei der Abschlussfeier nur draußen, schweigend und bockend in der Dunkelheit gesessen hatte, während die anderen im Clublokal Kuchen aßen und warum er sich im Anschluss in der Dunkelheit versteckt hielt, bis ich – unwissend, wo er sich aufhielt – zur Sicherheit in alle Himmelsrichtungen rief, dass wir jetzt nach Hause fahren.

Aber inwiefern hätte ihn und mich eine Frage nach dem Warum weitergebracht? Hätte ich damit nicht einfach nur zum Ausdruck gebracht, dass mir sein Verhalten missfallen hat? Dass ich es untolerierbar fand und deshalb infragestellte? Dass ich eine Erklärung wünschte, weil es nicht in meinem Verständnisbereich lag?
Ich spürte in diesem Moment am Tisch 2 Impulse in mir: Einen, der die Warum-Frage stellen wollte und dann noch einen, der die Stille nicht nur aushalten, sondern sich in sie hineinlegen und sie genießen wollte. Der sie betrachten, befühlen und umarmen wollte. Der merkte, dass er es noch nie in seinem Leben zuvor geschafft hatte, sie auszuhalten und deshalb immer aus Unsicherheit mit einem „Warum“ in sie hineingestürmt war, wie eine Herde Bauern mit Fackeln in den finsteren Wald, um das Untier zu verscheuchen.

Was ging mich seine Wut an? Ich hab doch Kuchen im Clublokal gehabt. 3 Mal! 😀
Er würde schon mit mir reden, wenn er das wollte. Und so lange er das nicht wollte, wäre mein Schweigen wie ein sanftes Streicheln über seinen Rücken, das sagte: „Hey, ich versteh dich. Das ist manchmal alles nicht so leicht. Aber mir musst du nichts erklären. Du kannst bei mir einfach sein, wie du bist!“

24. September 2021

Wachsen

Ein wenig musste ich lachen, als meine Oma mir vor ein paar Jahren erzählte, wie sie damals ihrem frisch verheirateten Mann klarmachte, dass sie garantiert nicht seine Köchin spielen würde. Er solle gefälligst selbst den Kochlöffel in die Hand nehmen und lernen, wie es geht. Sprach sie da wirklich über meinen Großvater Erich? Den geschickten Konditor, der später Chemie- und Mathelehrer wurde? Den talentierten Hobbykoch, der zwar nicht oft, aber wenn, dann mit Feingefühl und überraschendem Ehrgeiz kochte? Der einen Tisch geschmackvoll decken konnte und mir selbst das Serviettenfalten beigebracht hatte?
Ich bin froh, dass er damals die Herausforderung angenommen und die Chance genutzt hat, mehr in sich zu entdecken. Mehr, als nur den coolen, Tolle trangenden Jugendlichen, der mit dem Moped laut knatternd durch die Straße meiner Großmutter fuhr, um sie zu beeindrucken. Oft steckt mehr in uns, als wir glauben und oft sind es andere, die es sehen. Wenn wir diesen anderen Menschen vertrauen und mit einer Mischung aus unbedarfter Experimentierfreude und Mut zum eventuellen Scheitern einfach machen, geschieht etwas Wunderbares: wir wachsen! Es sind genau diese Momente, in denen wir uns entfalten und unsere eigenen Grenzen ein Stück weiter nach außen verlagern.

Eine Zeit lang war ich als Co-Trainer für die Fußballmannschaft unseres älteren Sohnes mitgelaufen. Ich hatte tierischen Bammel vor dem einen Tag, an welchem die 2 Haupttrainerinnen mal verhindert sein würden und ich dann gefragt werden würde, ob ich den vorpubertierenden Haufen 12jähriger Jungs, anderthalb Stunden lang trainieren könne. Auf schwedisch!
Natürlich kam der Tag, denn das Leben meint es gut mit mir. Es wollte mir die Chance geben, größer zu werden, selbstbewusster und weniger ängstlich. Es wollte mir klarmachen, dass es nicht unsere perfekte Wortwahl oder Aussprache ist, die uns auszeichnen und ausmachen als Person, sondern unsere Fähigkeit, andere zu begeistern, unser Einfühlungsvermögen und unsere Kreativität. Es wollte mir jenen Moment gönnen, in welchem ich mich mit einem Zettel und Papier hinsetzte, um die Übungen für’s Training vorzubereiten und in welchem ich spürte, wie viele tolle Möglichkeiten der Selbstverwirklichung ich plötzlich hatte. 15 junge Menschen würden dem Signal meiner Trillerpfeife gehorchen und ich hatte die Chance, dieses Erlebnis zu etwas Positivem zu machen. Ich konnte Spaß vermitteln und Freude an Kraftübungen wecken. Ich konnte Mannschaftsgefühl stärken und Bewusstsein für Spielsituationen schärfen.

Ich wusste das alles nicht, denn ich hatte nie zuvor jemanden in einer Sportart trainiert. Aber das Leben wusste es. Es wusste, welche Euphorie ich spüren würde beim Erkennen meiner neuen Möglichkeiten und wie wohl und stolz ich mich mit dieser Verantwortung für die Jungspunte fühlen würde. Es hatte volles Vertrauen in mein Lächeln, Lachen und Anfeuern, welche eine viel deutlichere Sprache sprechen, als mein gebrochenes Schwedisch.

Letzten Dienstag hatte ich meinen zweiten Einsatz und ich wusste im Vorhinein, dass ich das ohne Probleme meistern würde. Ich hatte das ja schon einmal gemacht. Am Ende des Trainings sagte sogar einer der Jungs, dass es ein tolles Training gewesen sei. YES! Das Auskosten, Freuen und Stolzsein hinterher finde ich sehr wichtig. Wir haben etwas Tolles geleistet! Wir sind gewachsen. Über uns selbst hinaus. Wir sind jemand anderes geworden, von einem Moment auf den anderen. Größer, stärker, mutiger! Das sollten wir unbedingt und in ganz ganz tiefen Zügen genießen. Denn wer weiß, wann die nächsten Menschen etwas in uns sehen, wovon wir selbst noch nichts wissen. Und dann fragen sie ganz unverblühmt: „Äh, sag mal, traust du dir das zu?“ Und schon stehen wir wieder da wie zuvor und fragen uns: Bleib ich stehen? Oder wage ich den Sprung über die nächste Klippe…? 😉

10. September 2021

Lernen

Gleich würde ich die Bombe platzen lassen und sie vor der ganzen Klasse lächerlich machen. Ich griente vor Vorfreude, als die Physiklehrerin den Stoff der letzten Stunde wiederholte und fragte, welche „Rollen“ wir kennen. Eifrig riss ich meine Hand empor und bekundete damit absoluten Willen, meinen Mitschüler*innen vom Flaschenzug und anderen Kräfte verteilenden Rollen zu berichten. Als ich auch direkt rankam, beteuerte ich stattdessen aber mit gespielt naivem Unschuldsgesicht, dass ich Vorwärts-, Rückwärts- und auch Klo-„Rollen“ kennen würde. Meine Antwort verfehlte nicht im Mindesten ihre Wirkung: die Klasse grölte los und ich wurde ins Exil auf den Flur verbannt.

Ich bin keiner von jenen Menschen, die sich nun weise schmunzelnd zurück lehnen und sagen: „Ja, ja, damals, das waren noch Zeiten. Heute bin ich natürlich ruhiger und erwachsener!“ Ich fühle den 16-jährigen Jungen immer noch genauso in mir, wie damals. Schule war ein bisschen wie Lotto spielen. Entweder interessierte einen der Stoff oder nicht. Entweder kam man mit einer Lehrerin klar oder nicht.
Heute bin ich nett zu all meinen Lehrerinnen und Lehrern, denn ich suche sie mir selbst. Ein Kumpel von meinem Sohn kann für einen kurzen Moment mein Schwedischlehrer sein, weil er ein mir unbekanntes Wort benutzt, welches ich eifrig einsauge. Die Katze begegnet mir, selbst nach dem ich sie gescholten habe für’s auf den Esstisch gehen, immer wieder mit soviel Sanftmut und Zuneigung, dass es auch mich inspiriert, diese in meinen Beziehungen zu anderen Menschen mehr walten zu lassen. Letzte Woche erhielt ich Lehrstunden im Bauen einer Abwasseranlage, als diese auf unserem Grundstück neu gemacht wurde. Sohnemann saß im Bagger und grub und schachtete, während der Vater des Familienbetriebes mit seinen 74 Jahren daneben stand und mir wohlwollend alles erklärte, was vor sich ging und warum dieses und jenes wichtig sei.

Wenn wir achtsam genug sind, erhalten wir stets und ständig gratis Unterricht von den besten Lehrerinnen und Lehrern der Welt. Denn sie unterrichten nicht nur, sondern leben vor, was sie uns lehren wollen. Dankbar nehme ich diese Lektionen entgegen. Denn ich habe das Gefühl, dass es unsere Aufgabe ist, nie fertig zu werden. Immer auf dem Weg zu sein. Genau dafür lernen wir, für das nächste Stück Weg, für die nächsten paar Meilen, die vor uns liegen. Lernen macht glücklich, wenn wir selbst wählen dürfen.

Arme Frau Zanker, die damals diesen vorlauten Jungen in ihrer Physikstunde hatte. Was wollte das Leben sie damit lehren? Was wollte es mich lehren? Genau weiß ich es natürlich nicht, aber draußen auf dem Flur dachte ich jedenfalls nicht über das zuvor Geschehene nach, sondern tüftelte womöglich in meinem Kopf an irgend einem Text oder einer Melodie herum. Aus heutiger Sicht eine durchaus wertvoll genutzte Physikstunde… 😉

27. August 2021

Herzensmusik

Es war ein warmer Sommerabend. Mit meinem Vater, meinem Cousin und ein, zwei anderen Gästen saßen wir am knisternden Lagerfeuer. Wolfgang holte seine Gitarre aus dem großen Gemeinschaftsbungalow. Ihm gehörte das Kanu-Camp, in welches wir eher durch Zufall geraten waren. Mit Inbrunst und Lebensfreude begann er dann, Lieder von Reinhard Mey und Hannes Wader zum Besten zu geben. Hin und wieder setzte er dabei auch die Mundharmonika an die Schnauzbart geschmückten Lippen und schmetterte sie zum poltrigen Zupfen seiner Finger durch die laue Sommernacht.
Ich war hingerissen, verzaubert, betrunken von der Wucht der ungeschminkten Schönheit dieses Musizierens. Ich war 13. An diesem Abend wurde ein Funke in mir entzündet, der mich von da an mein gesamtes, weiteres Leben begleiten sollte.
Wieder daheim, sah ich plötzlich die alte Gitarre meiner Mutter, die seit Jahren dekorativ in der Ecke stand, mit anderen Augen. Ich wollte darauf spielen. Also wünschte ich mir zum nächsten Geburtstag ein Gitarrenlehrbuch. Ein zuvor sehnlichst gewünschtes Keyboard lag nach kurzem Intermezzo seit einem halben Jahr unbespielt im Schrank. Daher sahen meine Mutter und mein Stiefvater meinem neuen, musikalischen Anlauf zwar neugierig, aber auch leicht belächelnd entgegen. Diese armen Tröpfe! Sie konnten nicht wissen, das dies MEIN Instrument war, das dies MEIN Weg war. Die Gitarre wurde schnell zu einem starken Ausdruck meiner Seele. Ihre Saiten waren nicht unten am Steg befestigt, sondern direkt in meinem Herzen.
Die erste, schüchtern-missglückte Schulliebe inspirierte mich zu einem Song, welchen ich aufnahm. Das war beim guten Timothy, der langhaarig und mit Vollbart in seinem nach Nag Champa Räucherstäbchen duftenden Wohnzimmer im Prenzlberg dem jungen Rechtsanwaltssohn aus der Einfamilienhaussiedlung am Stadtrand einen heiligen Platz bot, um seine ersten, wackeligen, musikalischen Schritte zu gehen.
Mit 16 hat man, mal ganz abgesehen vom hormonal-emotionalen Ausnahmezustand, in dem man sich befindet, nicht viel zu tun. Das wachsende Bewusstsein für die Ausmaße der mich umgebenden Welt in Kombination mit den Konflikten, die sich aus meinem Innen und dem Außen ergaben, waren ein absolutes Brutbecken für hoch emotionale Songs und Texte. Ohne Ahnung von Noten, Technik und Aufnahmeprozedere setzte ich mich wenig später vor ein Mikro in meinem Zimmer und bannte mit einfachsten Mitteln auf Kassettenband, was mich bewegte. Wenn ich mir heute die Aufnahmen anhöre, muss ich zum einen belustigt den Kopf schütteln über die ganzen technischen Faux pas, andererseits liegt auch etwas Magisches in diesen naiven und mit solcher Überzeugung und Emotion eingespielten Songs.

Heute verstehe ich, dass es diese Naivität ist, die ein Künstler braucht, um wahre Kunst zu schaffen. Es ist das strickte Weigern, die Welt so zu sehen, wie andere sie sehen, selbst wenn man auf Unverständnis oder gar Ablehnung stößt. Es ist das alleinige Vertrauen der inneren Welt und das Priorisieren des eigenen Bauchgefühls über allem anderen.
Ich verlor einen Teil dieser Naivität beim Versuch, musikalisch besser und vielseitiger zu werden. Mein Ehrgeiz und die Art, wie ich erzogen wurde, suggerierten mir, dass ich Stile, Noten, Theorie und Technik erlernen müsse, um erfolgreich zu werden. Nach unbedarften Bandprojekten in verschwitzten und muffigen Jugendclub-Proberäumen, zog eines Tages in der U-Bahn ein Plakat meine Aufmerksamkeit auf sich: Es wurde ein privates Popmusik-Studium angeboten, mit Diplom und Abschluss. Es klang genau nach dem, was ich machen wollte. Ich brauchte Schliff, ich brauchte Ausbildung. Ich brauchte endlich jemanden, der mein Talent erkannte und förderte!
Man sollte vorsichtig sein mit dem, was man sich wünscht! Denn es könnte in Erfüllung gehen. Ich bekam Schliff, Ausbildung und Förderung. Ich lernte Noten schreiben, Septimen und Sechsten heraushören und traf Mitmusiker, mit denen ich meine Songs in einem professionellen Studio aufnahm. Meine Mutter förderte mich aus der Tiefe ihres Herzens mit dem Besten, was sie geben konnte. Den ungeordneten Mitgliederhaufen meiner Band schlug sie ein in den sicheren Mantel einer GbR und meiner Musik bot sie den sicheren Hafen eines selbst gegründeten Labels in GmbH-Form mit ihr und mir als Geschäftsführer. Mein Kopf routierte und brillierte. Ich schrieb schlaue Lieder, feine Texte, sinnige Zeilen und ironische Kniffe. Als die Band auseinanderging, entwickelte ich ein Live-Programm, bei dem ich mich mit Hilfe von Technik selbst auf der Bühne aufnehmen, wieder abspielen und dann mit mir selbst musizieren konnte. Meine Stile und Rollen auf der Bühne wechselten: HipHop, Reggae, Blues und Flamenco. Dazu Clownerie und Charme. Ich würde dem Publikum schon beweisen, dass ich ein Künstler war, für den es sich lohnte, etwas in den Hut zu werfen!

Und mein Herz? Was tat das eigentlich? Es gründete eine Familie! Still und leise durchkreuzte und untergrub es meine ausgedachten und routierenden Musikerpläne immer mehr. Ein Kind. Zwei Kinder. Drei Kinder. Ich vermisste sie, wenn ich am Wochenende weg war, um ein Konzert zu spielen. Viel lieber hätte ich ihnen abends vorgelesen, als meine eigene PA auf einem Geburtstag aufzubauen und die Leute zu bespaßen. Beim vierten Kind dann endlich kapitulierte ich vor meinem Herzen. Ich wollte kein Berufsmusiker mehr sein, sondern nur noch Geld als Sprecher verdienen und ansonsten für die Familie da sein. Ich verkaufte meine gesamte Technik mit fast allen Instrumenten und bat meine Mutter, das Label aufzulösen. Eine schwere Bleikugel wurde von meinem Fuß genommen und ich spürte eine ungeheure Erleichterung.

Das alles ist nun sechseinhalb Jahre her. In dieser Zeit habe ich versucht, die unwichtigen, erlernten Dinge Stück für Stück wieder zu vergessen und die wichtigen wieder zu erlernen. Um meine Herzensmusik zu finden. Die von damals, als ich in meinem Zimmer auf den Aufnahmeknopf des Kassettenrekorders drückte und einfach losspielte. Die letzten Tage hat es sich so angefühlt, als ginge da was. Als hätte ich einen Weg zurück gefunden. Ich bin wieder in meiner Welt. Die, die kein anderer sieht und fühlt. Nur ich. Aber ich zeig sie euch. Bald. November. Wir hören uns, versprochen!

13. August 2021

Kinder Kinder

Kinder großziehen ist wie ein Kinofilm, den man wärmstens empfohlen bekommen hat und dann sitzt man da und fragt sich, wieso man da eigentlich reingegangen ist. Der Prozess des Begleitens und zusammen Wohnens ist immer wieder geprägt von Erfolgen, Rückschlägen, stetigem Dazulernen und Lächeln, Einatmen, Ausatmen und wieder Lächeln.
Neulich sollte unsere Jüngste, 6 Jahre alt, vor dem Mittag noch schnell die Müslischüssel vom Frühstück wegräumen. Das hatte sie vergessen. Es ging nicht! „Wieso muss ICH immer ALLES machen?“, stand auf ihrem Gesicht geschrieben und wie von einem exotischen Kleintier gebissen, fiel sie auf ihrem Stuhl in eine starre Lähmung. Ich sag euch jetzt, was aus meiner Sicht das Allerschwerste am Kinder großziehen ist. Es sind genau diese Situationen, in denen ein vor Egozentrik und Selbstüberschätzung brodelnder, kleiner Vulkan vor dem Ausbruch steht und man muss ganz ruhig bleiben und den Karren möglichst behutsam aus dem Dreck ziehen.
Nun saß die kleine Prinzessin also da wie eine Landmine kurz vor der Berührung. Zum Glück hatte sie keine Ahnung, wen sie da vor sich hatte. Ich war Robert Moeck – 4facher Papa! Siegfriedgleich hatte ich zwar nicht in Drachenblut gebadet, aber Bäuerchenreste von der Schulter gewischt, so dass es für 2 ganze Bäder gereicht hätte. Ich war ausgebildeter doppel-K-Agent! Das stand für Kotze und Kacke, welche mich nicht mehr im Mindesten beeindrucken konnten, geschweige denn von meiner Mission abbringen. Dieses Früchtchen hier musste schon früher aufstehen, wenn es mich beeindrucken wollte. Ihre Schwester hatte schon auf’s Laminat gepinkelt und mir dabei provozierend in die Augen geschaut, da war unsere kleine Ballerina hier noch Quark im Schaufenster.
Jedoch egal wie viel Erfahrung man mitbringt, zunächst gilt es, am Anfang der Konfliktsituation 2 Stolperfallen auszuweichen, die einem ansonsten den klaren Kopf rauben: „Was erlaubt sich die kleine Rotzgöre da eigentlich? Keine Ahnung von nix, aber spielt sich auf, wie eine Hoheit!“ Stimmt! Aber sie ist noch klein und weiß überhaupt nicht, was sie da tut. BÄHM! Geschmeidig wie ein Ninja hatte ich mich weggeduckt und das Ego haute sich nach kraftvollem Ausholen selbst in die Fresse. Geschieht ihm Recht. Es hat ja hier auch nichts zu suchen! Doch der 2. Gegner schlich sich bereits noch heimtückischer von hinten heran: „Ich zähle jetzt bis 3 und wenn du dann nicht…“ Moment mal! Das klang doch wie meine Mutter… BÄHM! Auch hier erkannte ich dank meiner Quattro-Dad-Ausbildung blitzschnell den Wolf im Schafspelz. Ich liebte dieses kleine Mädchen, dass da so bockig vor mir saß. Und deshalb würde ich nicht unreflektiert den gleichen Erziehungsmüll über sie kippen, den meine Vorgängergenerationen bereits erfolglos an mir ausprobiert hatten.
Puh, das hätten wir! Immer wieder spannend, diese 2 ersten Hindernisse schadenfrei zu umschiffen. Und ich bin ehrlich: es gelingt mir auch nicht jeden Tag. Aber heute schon! Heute blähten sich meine Segel wieder kraftvoll nach diesen ersten Untiefen und es konnte weiter gehen.

Nun war schauspielerisches Talent gefragt. James Bond gleich müssen Eltern auch in der ausweglosesten Situation, gefesselt und geknebelt, mit 30 Bärenfallen und einem Aligator-Wassergraben um sich herum, dazu ein super tödlicher Hyper-Mega-Ultra-Atomstrahler auf sie gerichtet, cool bleiben. Lässig und ohne eine Mine zu verziehen, blicken sie dem Superschurken ins Gesicht, so dass dieser sich fragt, was um alles in der Welt er denn übersehen hat? Welchen versteckten Ausweg hat er nicht bedacht?
Denn zeigen wir vorm bockenden Kind auch nur die kleinste Spur von Ärger oder Missfallen, breitet sich ein Grinsen aus auf seinem Gesicht und auf der inneren Schiffe-Versenken-Karte wird ein dickes Kreuz an dieser Stelle vermerkt: Aha, hier ist Papa also verwundbar! Diesen Triumph sollte man den kleinen Rackern unbedingt vorenthalten, ansonsten wirken alle folgenden, pädagogischen Schritte wie jene von Aschenputtels Schwestern im gläsernen Schuh: holprig und unglaubwürdig!
Ich begann also in Ruhe, das Mittag zu essen und meiner freundlichen-Onkel-Stimme hörte man nicht im Mindesten an, dass ich eigentlich innerlich mit den Augen rollte. Warm, aber ohne große Emotionen fasste ich die Faktenlage zusammen: dass sie die Schüssel benutzt hatte, dass alle im Haushalt mithelfen, dass ich das Mittag gekocht hatte und ihre Geschwister den Tisch gedeckt hatten. Und sobald sie die Schüssel hinüber zum Abwasch geräumt hätte, könne sie ebenfalls mit dem Mittag beginnen.
Es geschah nichts. Ungerührt verharrte der brodelnde Vulkan in seiner Lähmstarre und die Spannung stieg, wie bei einer Lottoziehung mit bereits 5 Richtigen. Dann geschah doch etwas: die Müslischüssel wurde zur Seite geschubst und der Suppenteller an den Topf heran geschoben, um sich Eintopf aufzutun. Hier ist noch mal alle Beherrschung gefragt, denn frech und unerwartet bekommen wir den Duellierhandschuh über’s Gesicht gezogen. Obwohl wir uns vorher soviel Mühe gegeben haben, fair zu bleiben. Ruhig Blut! Mit sowas brauchen wir uns nicht duellieren. Das Prinzesschen hat bereits verloren und hat leider nur noch den Punkt „Verzweiflungstat“ in ihrem Repertoire übrig. Deshalb schiebe ich auch nur ruhig den Suppenteller zurück und bemerke mit fast schon nüchterner Wissenschaftlerstimme: „Nein, das geht leider nicht.“ Noch einmal kurzes Zusammenfassen der Fakten: Du hast die Schüssel benutzt, alle helfen mit im Haushalt ect. und dabei entspanntes Weiteressen nicht vergessen. Damit haben wir unsere Aufgabe erfüllt. Der Rest liegt nun beim Sprössling und seinem Willen, sich heute für oder gegen Einsicht und Gemeinschaftssinn zu entscheiden. RUMMS! Die Küchentür knallt zu. Ok, heute also dagegen. Na gut. „Man sieht sich immer zwei mal im Leben“, rufe ich in Gedanken dem Superschurken hinterher. Auf ein Neues beim Abendbrot… 😉

6. August 2021

Wundern

Ich stehe vor einer Sonnenblume und denke: Was für ein Wunder! Wie konnte aus einem Kern, winziger als mein kleiner Zeh, so eine riesige und prächtige Pflanze wachsen? So schön, so vollkommen! Ja, natürlich habe ich in Biologie aufgepasst: Zellen, genetischer Bauplan. Alles läuft los, wenn der Kern in der Erde und die richtige Temperatur gegeben ist. Aber wie genau geschieht das? Fühlt dieses kleine, trockene Ding da? Misst es die Temperatur? So wie ich, der ich den Fuß in den See halte und dann entscheide, ob ich heute baden gehe oder nicht? „Heute ist gut, heut wachse ich los.“ Und der Bauplan? Das klingt so einfach. So nach Legoteile zusammenstecken, die ich vom Haufen nehme und mich immer wieder auf dem Plan vergewissere, dass ich es richtig mache.
Aber ich bin aufgeschmissen, wenn mir Teile fehlen. Dann stehe ich da mit meinem unvollendeten Meisterwerk. IKEA-Käufer wissen genau, wovon ich rede… (nobodys perfect – auch die Schweden nicht 😉 )
Aber auf kargem Boden oder bei wenig Platz für die Wurzeln im Topf wächst die Blume trotzdem komplett heran, konnte ich beobachten. Sie ist dann nur kleiner. Wie passt sich der Bauplan so einfach an? Wer oder was analysiert den Boden und gibt dann Bescheid: „Jungs! Bor und Kalium sind bald alle. Jetzt nicht mehr Stängel bauen, sonst reicht’s nachher nicht mehr für die Blüte!“
Wusstet ihr, dass Sonnenblumen während des Wachsens Ihren Kopf immer mit der Sonne mitdrehen? Von Osten nach Westen folgen sie am Tag ihrem Lauf. Und in der Nacht drehen sie den Kopf zurück nach Osten. Irgendwo an diesem wunderschönen Ding ist also auch noch ein Lichtsensor dran. Verrückt! Ich stehe vor der Sonnenblume und mir kommt in den Sinn, dass wir besonders schöne und angenehme Dinge WUNDERbar finden. Hingegen Wunder, also Dinge, die wir uns nicht erklären können eher als SONDERbar gelten.
Ich verstehe nicht, wie die Sonnenblume all dies macht. Ich stehe nur davor und finde sie wunderbar! Sonderbar finde ich, dass nicht mehr Menschen vor ihr stehen und sie bewundern. Das ist sie nämlich: ein Wunder!

9. Juli 2021

Wie cool du bist!

„Wie cool du bist!“ Das muss ich dem Leben immer mal wieder sagen. So überraschend. So witzig. Wie am letzten Dienstag, als ich die Kinder alle beim Fußball-Ferienlager in unserem Dörfchen abschmiss, um mich dann weiter nach Vimmerby zu begeben. Das ist die nächst größere Kleinstadt, in der man ganz gut einkaufen und Besorgungen machen kann. Außerdem sitzt da meine Steuerberaterin. Der brachte ich meine Buchhaltung vorbei, griff danach eine Packung Schrauben beim Baumarkt und kaufte anschließend den Großpack Hühnerfutter beim Tierhandel. Nur ein Laden stand noch aus, welcher aber erst später als alle anderen öffnete. Ich hatte meinen Laptop mitgenommen, um die Zeit mit Schreiben zu überbrücken. Nicht weit entfernt lag ein schöner Friedhof, dort wollte ich hin und mir ein stilles Bänkchen suchen. Ich fand den perfekten Platz: ruhig am Rand eines Gräberfeldes gelegen stand eine Bank von einem Baum beschattet. Hier hatte man einen schönen Blick über die Anlage und doch seine Ruhe zum Vertiefen in die eigenen Gedanken. Ich schrieb an einem neuen Gedankentext, den ich eventuell an einem der nächsten Freitage veröffentlichen wollte. Aber ich kam irgendwie nicht ganz weiter, war nicht mehr so überzeugt und inspiriert vom Geschriebenen des Vortags. Plötzlich kam mir eine neue Idee, ein ganz anderer Ansatz. Ich schloss den Text vom Vortag, öffnete eine neue Datei und schrieb wild drauf los. Bei einer Gedankenpause mit Blick in die Ferne bemerkte ich eine Frau, die zwischen Grabreihen suchend auf mich zukam. Ich schrieb zunächst weiter, doch bereits kurz darauf sprach sie mich an. Ob ich wisse, wo das Astrid Lindgren Grab liege? Ich blickte mich um. Ja natürlich, dämmerte es mir nun. Hier war ich doch schon mal! Diese Bank kam mir gleich so bekannt vor. Meine Frau und ich hatten ihr Grab auch schon mal besucht und zunächst jemanden vom Friedhofspersonal gefragt, wo es liegt. Es war hier ganz in der Nähe. Das sagte ich der Dame. Sie bedanke sich und suchte weiter. Mir ließ es keine Ruh und ich suchte nun ebenfalls meine Umgebung ab. Als ich es fand, rief ich die Frau zurück, welche sich aufrichtig bedankte und dann andachtsvoll vor dem Stein mit der berühmten Signatur stand. Später im Auto auf der Rückfahrt schmunzelte ich so vor mich hin und es wurde mir erst richtig bewusst, was passiert war: Astrid Lindgren, die weltberühmte, schwedische Schriftstellerin mit Büchern wie Pipi Langstrumpf, Michl Lönneberga oder Die Kinder aus Bullerbüh. Die Autorin des absoluten Lieblingsfilmes meiner Kindheit, Ronja Räubertochter. Ich hatte die ganze Zeit direkt vor ihrem Grab gesessen und geschrieben! Die Bank steht extra da zum Innehalten und wer will, kann sogar eine Nachricht an sie schreiben und in einen kleinen Briefkasten neben der Bank stecken. Ich hatte es überhaupt nicht gemerkt! Dachte nur, die Bank sieht aber einladend und inspirierend aus. „Wie cool du bist Leben!“ Chapeau für so eine Situation voller Komik und Schönheit zugleich! Danke, liebes Leben. Danke!

18. Juni 2021

Da, wo's wehtut

Wenn ich manchmal morgens beim Yoga sitze, tun manche Übungen richtig weh. Viel mehr als andere. Ich muss richtig die Zähne zusammen beißen und mich da durchkämpfen. Aber ich merke gleichzeitig auch, dass es genau diese Übungen sind, die mir den meisten Nutzen für meine persönliche Weiterentwicklung bringen. Immer, wenn es anfängt, weh zu tun, heißt es cool bleiben, ruhig weiteratmen und auf das gespannt sein, was hinter dem Schmerz liegt. Es geht hier natürlich nicht um wilde Verrenkungen oder Selbstkasteiung. Es geht um’s Heilen und den Weg zu unserem eigentlichen Selbst. Denn auf dem Weg von unserer Geburt bis heute sind einige blöde Unfälle passiert. Viele davon in unserer Kindheit und Jugend und viele davon haben wir nicht einmal bemerkt. Wir leben einfach mit den seelischen Verletzungen und ihren Manifestationen in unserem Körper, ohne, dass es uns großartig bewusst wäre. Ich selbst dachte über 30 Jahre lang, dass ich Rechtshänder wäre, bis mir mein eigener Körper vor ein paar Jahren sagte, dass ich Linkshänder bin. Das geschah durch eine ganz intuitive Stimme. So wie man automatisch, wenn man einen Raum mit fremden Menschen betritt, weiß, wer einem sympathisch ist und wer nicht.
Aber dafür müssen wir offen und verfügbar sein für diese Stimme. Müssen uns aktiv Freiräume schaffen, in denen wir hören, was sie uns zu sagen hat. Und wahrscheinlich sagt sie uns erstmal Dinge, die uns wundern, die wir im ersten Moment nicht verstehen oder die einfach nur wehtun. Diese Stimme will uns zurück leiten. Zu dem, was wir eigentlich sind. Zu dem, was wir waren vor diesen ganzen Unfällen. Vor diesen ganzen Eltern, Lehrern, Freunden und weiteren Menschen, die uns leider nicht so nehmen konnten, wie wir eigentlich sind. Vor denen wir uns aus Rücksicht, Angst oder Scham angepasst haben. Nun kommt die Zeit der Rückverwandlung. Aber weil wir uns zuvor verbogen haben, müssen wir uns nun wieder zurück biegen. Noch einmal durch den Schmerz gehen. Diesmal aber bewusst und mit Aussicht auf ein selbstbestimmteres und glücklicheres Leben. Der Schmerz zeigt uns den Weg. Da, wo’s richtig wehtut, müssen wir am genauesten hinschauen. Genau da liegt meist für uns die Chance zu persönlichem Wachstum und Weiterentwicklung.
Viel Güte, Nachsicht und Geduld braucht es von uns für uns in diesem Prozess. Andere haben zuvor in unserem Leben signalisiert, dass sie nicht klarkommen mit dem, wie und was wir eigentlich sind. Dann müssen wir das jetzt tun! Und oft lernen wir uns in dieser Phase erstmal richtig kennen. Es ist ein kraftaufwendiger, teils sehr schmerzhafter aber auch spannender Weg. Ich kann jeden nur ermuntern, mehr Zeit mit sich zu verbringen und in sich hinein zu horchen. Du lebst in der Stadt, aber träumst eigentlich immer von einem Leben auf dem Land? Geh auf’s Land! Mach kleine Schritte. Minischritte, wenn es deine Lebensumstände gerade nicht anders zulassen. Aber geh sie! Geh sie in die Richtung, in die du eigentlich willst. Dein Job ist ganz ok und zahlt deine Rechnungen, aber eigentlich brennt dein Feuer für etwas ganz anderes? Geh hin zum Feuer! Lass dich von ihm wärmen. Such immer wieder den Weg zu ihm. So oft es dir möglich ist. Mit der Zeit werden die Feuerphasen länger werden und mit Mut und Geduld wirst du eines Tages ganz in Flammen stehen. Wer weiß, vielleicht entflammst du dann sogar andere.
Da wo’s wehtut. Die Übung, die wir so ungern machen. Da, wo wir nicht gern hinwandern mit den Gedanken. Weil mir zugemacht haben. Weil wir’s unsinnig finden. Weil’s unrealistisch ist. Und überhaupt ist doch alles in Ordnung… Da bitte hinschauen! Da könnte ein Stück von uns selber liegen, welches darauf wartet, freigelegt und ausgelebt zu werden. Viel Kraft, Mut, aber auch Freude dabei wünsche ich euch!

11. Juni 2021

Die Kraft des positiven Denkens

Wenn mich jemand fragen würde, wann in meinem Leben ich die Kraft des Optimismus und positiven Denkens am stärksten gespürt habe, kommt mir sofort ein Name in den Sinn: Benno Jacob.
Ich habe das große Glück, den Menschen, der sich hinter diesem Namen verbirgt, als den wohl engsten Freund und Wegbegleiter in den zurückliegenden 15 Jahren meines Lebens bezeichnen zu dürfen. Das Schicksal führte uns zu einem Zeitpunkt zusammen, als noch völlig unklar war, dass wir beide einmal künstlerische Wege einschlagen würden: er als Artist, Jongleur und Comedian und ich als Songschreiber, Musiker und Sprecher.
An einem Montagmorgen im Jahre 2006 verpasste ich morgens meinen Zug nach Barth, wo ich auf einem abgelegenen Ferienlagergelände mit circa 100 anderen Zivildienstleistenden eine Woche lang über die Sinnhaftigkeit des Dienstes an der Gesellschaft unterrichtet werden sollte. Das Bahnpersonal nach einer Zugvariante fragend, wurde ich nach Berlin Lichtenberg umgeleitet, von wo aus in 30 min. der nächste Zug nach Barth abfahren sollte. Im Zug sitzend wurde ich eines langhaarigen, schlacksigen Jungens Gewahr, welcher den Schaffner in letzter Sekunde vor der Abfahrt schnaufend um eine Fahrkarte nach Barth fragte. Wir kamen danach sofort ins Gespräch und die Zeit im Zug verging wie im Fluge. In Barth wurden wir Zimmergenossen und hatten eine fantastische Zeit. Auch heute noch sind unsere Telefonate selten kürzer als 3 Stunden; unser persönlicher Rekord liegt glaube ich bei 6 Stunden Telefonieren. Soviel zur Einleitung.

2012 traf Benno eine schwere Entscheidung. Trotz eines sehr erfolgreichen Artistikprogramms als Diabolo-Duo mit unter anderem Angeboten vom Cirque du Soleil, trennte er sich von seinem damaligen Duopartner aus für ihn nicht mehr tragbaren, persönlichen Gründen. Ein mutiger Entschluss, denn ein Artist ohne Programm und Auftritte, ist ein Artist ohne Einkommen.
Benno hatte eine Vision: zusammen mit einem neuen Partner wollte er ein neues, besseres Programm entwickeln. Es sollte spektakulärere Tricks enthalten, mehr Synchronität mit dem Partner und vor allem sollte es eine eigens für das Programm geschriebene Musik geben; abgestimmt auf die Bewegungen der Artisten. Zeitvorgabe: ein halbes Jahr! Vom rohen Entwurf auf dem Blatt, bis zur fertig choreographierten Show. Ein ehrgeiziges Vorhaben.
Da ich Musiker bin und diesen Text schreibe, wisst ihr natürlich bereits, dass er mich für die Musik anheuerte. Selbstverständlich, möchte man meinen. Aber so selbstverständlich war das eigentlich gar nicht. Sehr viel mehr als pures Vertrauen in mich hatte Benno nämlich gar nicht in der Waagschale. Weder hatte ich irgendwelche Referenzen in dieser Richtung, noch kannte ich mich aus mit Beatprogrammierung und digitalen Instrumenten auf dem Computer, noch hatte ich vorher irgend eine andere Art von Musik gemacht außer Singer-Songwriter-Liedern. Uns beiden war vorher auch klar, dass unsere Freundschaft durch diese Zusammenarbeit eventuell Schaden nehmen könnte, sollte es ein Misserfolg werden. Für Benno ging es um viel. Er wäre die nächsten Monate ohne jegliche Einnahmen, investierte aber locker einen 5-stelligen Betrag in sein neues Programm. Und er musste zu dem unter allen Umständen zum Tag X in einem halben Jahr fertig sein. Er war nämlich bereits vorgesehener Teil einer Show, bei der viele Agenten und Booker im Publikum sitzen würden, um Acts für die nächsten Varietés und Artistikshows auszuwählen.

Ein Duopartner war gefunden und wir legten im Dezember 2012 los. Die besondere Herausforderung war, alles gleichzeitig an den Start zu bringen: neue Diabolotricks verbunden mit einer showtauglichen Choreographie und dazu die Musik. Alles im sich immer wieder entwickelnden und verändernden Prozess. Der Part länger, nein doch kürzer. Dieser Trick an dieser Stelle, nein doch an jener. Hier langsamer, nein doch schneller. Dafür hier dann langsamer und da dann wieder volles Rohr! Es war schwer, eine musikalische Grundidee zu finden. Ein Thema, an dem sich alles orientieren konnte. Es gab noch kein Tempo, keinen Rhythmus. Ich stellte den beiden Jungs immer wieder neue Ideen vor, aber entweder war es zu heiter oder zu düster oder zu leicht oder zu schwer oder zu sehr dies oder zu sehr das. Die Zeit rannte und rannte. Benno und sein Partner schickten mir stets aktuelle Videos von ihren Trainingsdurchläufen. Ab einem gewissen Punkt hatten wir uns auf ein Tempo geeinigt, zu dem sie sich bewegten. So konnte ich zu Hause am Rechner dann auf die Videos komponieren. Und dann endlich 2 Monate vor der Premiere die zündende Idee. Ich hatte einen Beat entworfen, der die perfekte Grundlage für alles bot. Benno war unglaublich froh und wusste, nun wird alles gut. Ich war auch froh. Endlich eine Orientierung, ein Gerüst, an dem wir uns halten konnten. Alle Ampeln auf Grün! Volle Fahrt voraus!
Und dann passierte das Unfassbare: im Glauben, ein aktuelles Backup von meinem Rechner auf meine externe Festplatte zu ziehen, machte ich es aus unerfindlichem Grund genau andersherum. Ich überschrieb die aktuellste Version der Musik auf meinem Rechner und löschte damit den neuen Beat unwiederbringlich. Obwohl ein heißer Schwall durch meinen ganzen Körper ging, wurde mir plötzlich ganz kalt und ich zitterte leicht. Hatte ich das wirklich getan? Ich musste mich verguckt haben. Nein, ich hatte mich nicht verguckt. Die Arbeit der letzten Tage… alles weg!
Es war etwa 10 Uhr morgens. Ich rief sofort Benno an, um ihm das Unglück beizubringen. Als er abnahm hörte ich, dass er von meinem Klingeln geweckt wurde. Panisch berichtete ich, was geschehen war. Und nun meine Lieben beginnt die Magie: Benno blieb ganz ruhig. Und obwohl er bereits seit mehreren Wochen jeden Tag teilweise bis zu 12 Stunden lang trainierte, sich den Kopf zermarterte, welche Tricks wie und wo gespielt werden sollten, herumexperimentierte mit unterschiedlichsten Diabolos, Stöcken und Schnüren. Und obwohl wir nur noch 2 Monate Zeit hatten für ein 6 Minuten langes Musikstück, von dem noch nichts existierte. Und das kleine Stückchen, welches bis vor wenigen Minuten noch existiert und allen Hoffnung gemacht hatte, war nun aufgrund meiner Schusseligkeit ausradiert worden. Obwohl all dies auf seinen Schultern lag und der Auftritt in 2 Monaten ein peinliches Desaster werden könnte, sagte er: „Ganz ruhig, wir schaffen das! Wir finden eine Lösung. Ich weiß, wir schaffen das!“
Und wisst ihr was dann geschah? All die Angst, all die Verkrampfung in meinem Körper löste sich. Alles stand auf Null. Ein weißes Blatt vor mir. Neuanfang. Die pure Inspiration. Ja, wir schaffen das! Energie schoss in mich hinein. Ja, wir schaffen das! Ich schnappte mir sofort die Gitarre und setzte mich an den mittleren Teil des Programms, für den ich bisher noch keine einzige Idee hatte. Die Jungs wurden darin vom Tempo her um die Hälfte langsamer und bewegten sich ganz synchron. Es war an diesem Tage, an dem zuvor noch alles verloren schien, dass mir die entscheidende Inspiration für diesen Part kam. Mit E-Gitarre, Syntheziser und Blechbläsern. Die Instrumentierung war gefunden und nun leitete sich plötzlich wie von Zauberhand der ganze Rest der Musik auch für die anderen Parts ab. Es wurde ein voller Erfolg. Es war noch eine Schinderei bis zur letzten Sekunde. Mit durchkomponierten Nächten und Proben bis zum Vortag des Auftritts. Aber die Premiere war fantastisch und Benno und sein Partner wurden sofort für Shows angefragt.

Benno ist ein Mensch mit unglaublichem Willen und Disziplin. Er setzt sich Ziele und packt dann an. Aber bei unserer Zusammenarbeit war das Besondere, dass er auch im richtigen Moment loslassen konnte. Und damit hat er das Beste in mir freigesetzt und beflügelt. Es war eine spannende und verrückte Zeit damals. Und es war unsere Zeit. Unsere Freundschaft hat keinen Schaden genommen. Im Gegenteil, sie ist stärker denn je geworden. Weil Benno an mich geglaubt hat. Im richtigen Moment. Danke Benno! Es war toll, das mit dir erleben zu dürfen 🙂

Wer das Programm mit Musik gern mal sehen möchte, findet hier ein Video von 2015 auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=TwffIdd3v2M

4. Juni 2021

Alles nur Kopfsache

Einige Jahre ist es schon her, da bekam ich den Auftrag, einen Song zu produzieren für ein Altersvorsorge-Institut. Handwerker sollten in einem animierten Musikvideo auf humorvolle Art und Weise auf die Absicherung ihrer Grundfähigkeiten hingewiesen werden. Mein Auftraggeber, eine Agentur, stellte sich leider bald als wenig stringent in ihrem Festhalten an Ideen und Meinungen heraus. Ursprünglich war ich für ein Lied nach Singer-Songwriter-Art gebucht worden. Nach einigen Demos hieß es dann aber plötzlich, es solle „rockig und cool“ werden. Ich rollte innerlich mit den Augen, ließ mich aber noch zu einer letzten Demo überreden, bevor es in neue Budgetverhandlungen gehen sollte wegen der Kursänderung.
Ich schnappte mir also meine E-Gitarre, stellte beim Verstärker den verzerrten Kanal ein, grub alle „Männlichkeits- und Bauarbeiterklischees“ aus, um sie in einem witzigen Text zu verwursteln und fand auf meinem Computer einige Baustellen-Sounds, aus denen ich einen Beat bastelte. Heraus kam eine Demo, bei der ich sofort spürte, dass alles passte. Ich war gespannt, was die Agentur sagen würde. Volltreffer! Alle waren begeistert. Der Chef meinte, das ganze Büro feiere den Song. Erleichterung auf meiner Seite. 2 Tage später dann die ersten Zweifel von der Agentur: Ja, vielleicht sollte man doch noch etwas ändern am Gesang. Vielleicht etwas höher singen. Eine Terz vielleicht. Oder eine Quinte. Ich fühlte mich wie Einstein, den jemand fragte, ob man an seiner Formel zur Relativitätstheorie E = mc² nicht einfach mal hinten noch ein „+2“ ranhängen oder das „m“ durch ein „n“ ersetzen könne. Was tun, wenn man weiß, dass alles passt, aber die Agentur, die einem das Geld zahlt zu unsicher und unerfahren ist? Ich blieb entspannt und gab nach. Ich bot an, noch einmal 5 unterschiedliche Gesangsvarianten zu senden. Von denen sollten sie sich dann eine finale aussuchen. Mehr könne und wolle ich zum vereinbarten Budget nicht leisten. Damit waren sie einverstanden. Gesagt getan. Ich sang noch einmal verschiedene Variationen ein, sendete alles der Agentur, diese wählte ihren Favoriten aus und alle waren zufrieden. Alle? Auch ich? Ja! Denn ich hatte unter die 5 Varianten auch einfach noch mal die 1. Demo gemischt. Nur mit anderem Namen. Und ratet, für welche der 5 „neuen“ Varianten sie sich entschieden haben? Genau! Seit diesem Tag weiß ich: Ist alles nur Kopfsache 🙂

Wer das Video mit dem Song gern mal hören möchte, findet es hier auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=zFFVzu8kxic

7. Mai 2021

Sprachbarriere

Als wir in Schweden ankamen, konnte ich nur sehr wenig schwedisch sprechen. Wie ich heiße, wo ich herkomme und “dass die nächste Werstatt 2 Kilometer entfernt liegt” (ein Satz aus dem Lehrbuch, den ich mir komischerweise gleich eingeprägt hatte). Durch das fehlende Vokabular war ich oft gezwungen, einfach nur zuzuhören. Mir fielen viele Kommentare oder Meinungen zu Dingen ein, aber ich wusste nicht, wie man sie sagt. Ich hörte mehr zu und mein Fokus wanderte automatisch mehr auf den Menschen, der mir etwas erzählte. Dadurch, dass ich ihn nicht unterbrach mit meinen Kommentaren oder Gedankenblitzen, konnte ich mehr und besser seine ganze Geschichte und sein ganzes Wesen erfassen. Als Mensch, der ständig zu irgend etwas irgend welche Gedanken hat, erschien es mir früher normal, diese auch stets mitzuteilen.
Aber nun gab es plötzlich eine Bremse, einen harten Filter, der mich validieren ließ, welche Gedanken wirklich so immens wichtig waren, dass es die Mühe wert war, nach Worten, Gesten und Erklärungen für ihre Artikulation zu suchen. Ich wurde viel ruhiger in Konversationen. Und es färbte auf meine Gespräche in deutscher Sprache ab. Auch hier begann ich nun selbst zu filtern und einfach mehr zuzuhören. Mit echtem Interesse am Inhalt des Anderen und nicht auf der Jagd nach Anerkennung für einen Wortwitz oder einen originellen Gedanken zum Thema.
So hat sich ein zunächst scheinbarer Nachteil zu einem wunderbaren Vorteil und einer Bereicherung in meinem Leben entwickelt. Und ich bin dankbar, dass ich diese Entwicklung machen durfte 🙂